Eine achttägige Kulturreise des deutsch-italienischen Freundeskreises im Oktober 2009
Andrea Palladio war ein genialer italienischer Architekt des 16. Jahrhunderts besonders von Palästen und Kirchen auch im Veneto und in Venedig. Schon im Frühjahr dieses Jahres konnten sich zahlreiche Mitglieder des deutsch-italienischen Freundeskreises anhand eines detaillierten Vortrags von Richard Konstantin Blasy mit der Brillanz und Eigenheit der Bauwerke von Palladio ( z.B. Palastfassaden mit horizontaler und vertikaler Dreiteilung unterschiedlichen Ausmaßes, Nähe zu römischen Tempelfronten) vertraut machen. Das hatte zur Folge, dass das Interesse am Angebot des Vereins für eine kunstorientierte Bildungsreise nach Venedig den Umfang einer überschaubaren Reisegruppe bei weitem überschritt. Zum ersten Mal wurden daraufhin im Oktober zwei gleichartige Reiseveranstaltungen mit jeweils über 40 Personen zeitlich versetzt durchgeführt.
Entsprechend intensiv und umfassend waren die notwendigen Aktivitäten an umfangreicher Vorbereitung und an präziser Organisation des Unternehmens. Es ist schon langjährige Erfahrung, dass die Vorsitzende des deutsch-italienischen Freundeskreises, Frau Dr. Pina Kittel, als Reiseleiterin der Planung und Durchführung einer solchen Reise in hervorragender Weise gerecht wird. Unterstützt wurde sie dabei von Heribert Kittel, der an verschiedenen Orten entsprechende geologische, ökologische und politische Aspekte zur Sprache brachte, sowie von Georg Drinnenberg, der mehrere Führungen vorwiegend kunsthistorischen Inhalts übernahm.
Schon frühzeitig im ruhmreichen Abschnitt der Geschichte Venedigs war dessen Machtbesessenheit oft mit gewaltsamen Expansionsbestrebungen verbunden. So beherrschten die Venezianer die Region um den Gardasee vom 15. bis zum 18. Jahrhundert .Daher hatte die Reiseleitung geplant, vor dem eigentlichen Aufenthalt in der Lagunenstadt die Hinterlassenschaften aus der Besatzungszeit an ausgewählten Orten aufzusuchen und zu erforschen. Die Spurensuche wurde ein Erfolg besonders unter Zuhilfenahme kompetenter Stadtführungen. Mehrere Gebäude in Riva, am venezianischen Baustil zu erkennen, sowie die von den Venezianern einst eingenommene und als Festungsanlage erweiterte Skaligerburg in Malcesine standen hierbei im Mittelpunkt des Interesses. Dass man in beiden Städten auch auf Goethes Spuren wandelte, war kein zufälliges Ereignis.
Anhand mehrerer Schautafeln längs eines Pfades im Tal Santa Lucia nördlich des Gardasees wird man durch Wort und Bild an ein einmaliges historisches Ereignis aus dem Jahre 1439 erinnert. Über einen steil abfallenden Hang musste seinerzeit eine umfangreiche venezianische Flotte von Galeeren und Barken, die schon von der Etsch kommend, einen gewaltigen Pass hinter sich hatten, mühsam einen weiteren steinernen Landweg abwärts wählen, um mit Hilfe von rollenden Baumstämmen bei Torbole an den Gardasee zu gelangen.
Die Region um den See wurde damals von den Mailänder Visconti beherrscht und war für die Venezianer wegen eines gewaltigen Bollwerks südlich des Sees auf dem Wasserwege nicht erreichbar . Nach anfänglichen Misserfolgen gewannen diese aber im folgenden Jahr die entscheidende Seeschlacht gegen die Viscontiflotte bei Riva und nahmen daraufhin die Stadt ein. Damit hatten die Venezianer die Herrschaft über den Gardasee gewonnen.
Heute ist der Weg hinab zum See zwar mühsam zu gehen, aber die Rivafreunde aus Bensheim erfreuten sich an der in zarte Farbtöne getauchten Landschaftsidylle. Grenzmauern, aus Naturstein geschichtet, links und rechts am Weg, mehrere Olivenbaumhaine mit sehr altem knorrigem Baumbestand, hoch droben die gewaltige Ruine der Burg von Penede und voraus ein herrlicher Blick durch Baumlücken hindurch auf die Dächer von Torbole und den dahinter befindlichen See im Dunstschleier, all das hatte zu einer anheimelnden Stimmung geführt.
Nach fast dreitägigem Riva-Aufenthalt war nun die Weiterfahrt durch die Poebene nach Venedig angesagt. Heribert Kittel nahm unterwegs die Gelegenheit wahr, auf geologische Besonderheiten dieser Region einzugehen, wobei er das gleichzeitige Auftreten als Senkungszone und Aufschüttungsraum durch Sedimentablagerungen recht anschaulich erklärte.
Darüber hinaus ging er auf die Eigenheit der Küstenformation an der Adria ein , um in diesem Zusammenhang die Entstehung des Podeltas und die der Lagune von Venedig zur Sprache zu bringen. Auch über den oft überhöhten Pegelstand in der Lagune, der ja regelmäßig zur Überflutung des Markusplatzes führt, und dessen Ursachen wurde man informiert. Natürlich sind die Gezeiten verantwortlich, aber auch menschliche Aktivitäten müssen genannt werden, die, abgesehen vom globalen Meeresspiegelanstieg, zum Absinken des Bodens führten.
Neben langjährigen Prozessen aufgrund von gesteigertem Bedarf an Grundwasser und Erdgas haben sich neuerdings durch Ausbaggern gewaltiger Bodenschichten mit Ausmaßen von über 20 m Tiefe die Strömungsverhältnisse in der Lagune markant verändert . Mit dem verstärkten Einströmen von Meereswasser können nun größere Ausflugsschiffe und Luxusliner die Touristenströme vermehren und damit dem Profitbegehren entgegenkommen, allerdings geht das auf Kosten erhöhter Pegelstände.
Venedig ist nicht gratis zu erobern. Man muss schon gut zu Fuß sein trotz der zahlreichen Möglichkeiten, mit einem Vaporetto z.B. auf dem Canale Grande zum angestrebten Ziel zu gelangen. Erheblich schwieriger ist es, sich tagsüber durch die Schwärme von Touristen zu drängen, von denen pro Jahr mehr als 20 Millionen den Markusplatz bevölkern. Allerdings konnten sich die Bensheimer Reiseteilnehmer von solchen Missständen fernhalten, da man die Unternehmungen recht frühzeitig am Morgen begann.
Waren es in früheren Jahrhunderten die Pest und andere Epidemien, die die Bevölkerungszahl rapide schwinden ließen, so ist es heute der fast unerträgliche Druck des Tourismus mit seinen Begleiterscheinungen wie die Profitgier von Baugesellschaften, die den Bewohnern immer mehr die Lust am Verbleiben nimmt. In den letzten 40 Jahren hat sich die Einwohnerzahl halbiert, zur Zeit leben in Venedig noch etwa 70.000 Menschen.
Beide Bensheimer Reisegruppen hatten jeweils ihr Hotel sehr zentral nahe einem Kanal gelegen. Tagsüber herrscht hier reger Gondelbetrieb, wobei das Liedgut der Mitfahrenden nicht immer den Ansprüchen der gebildeten Besucherschicht entspricht. Aber am Abend und besonders in der Nacht, nachdem die meisten Touristen die Stadt wieder verlassen hatten, ja dann konnte man das Flair einer faszinierenden Stadt erleben, so etwa wie es in den Kriminalromanen von Donna Leon beschrieben wird. Man bewundert in einsamer Stille prunkvolle Palazzi mit zierreichen Fassaden aus Ziegelstein und anderen Materialien bis hin zu edlem Marmor, die aus der glitzernden Wasseroberfläche der Kanäle ragen, über der schmuckvolle Brückenbögen beide Ufer miteinander verbinden. Überschreitet man sie, kommt man in spärlich beleuchtete enge Gässchen. Hin und wieder erreichen deren Ausmaße noch nicht einmal die Breite eines aufgespannten Regenschirms.
Die Piazza San Marco, umgrenzt von den Arkaden der Prokuratien, den ehemaligen Verwaltungsgebäuden, und der frontal mit Mosaiken reichlich verzierten San-Marco-Basilika, ist natürlich im Abendlicht von einzigartiger Schönheit. Ja sogar die Tauben haben sich zurückgezogen und träumen von früheren Zeiten, als sie sich noch an den ständigen Fütterungsorgien erfreuen konnten.
Kaum eine andere Stadt wird seit Jahrhunderten so häufig literarisch beschrieben und als Schauplatz benutzt wie Venedig. Genannt seien nur Marco Polo, Veronica Franco, Carlo Goldoni, Giacomo Casanova als Literaten, die hier geboren oder gestorben sind.
Auch in der Musikszenerie ist die Lagunenstadt vielfältig verankert, dadurch dass sich Komponisten von der Ausstrahlung dieser geheimnisumwitterten Stadt für ihre Werke inspirieren ließen. Antonio Vivaldi – die Reiseteilnehmer im Bus nach Venedig erinnern sich gerne an die mit musikalischen Auszügen belebten Beiträge von Georg Drinnenberg zur Schaffensperiode des Barockmeisters – , aber auch Felix Mendelsohn, Giuseppe Verdi, Richard Wagner und Franz Liszt sind hier zu nennen. Und nicht zuletzt haben die zahlreichen Maler der Renaissance wie die Familie Bellini, wie Carpaccio, Giorgione ,Tizian, Tintoretto und Tiepolo sowie die Baumeister und Architekten wie Andrea Palladio dazu beigetragen, dass Venedig zum ewigen Mythos geworden ist. Das Hauptaugenmerk bei der täglichen Programmgestaltung für die Rivafreunde galt daher einer großen Anzahl von Kirchen, Palästen und Museen. Sowohl die Architektur als auch die Innenausstattung, insbesondere die Wand-und Deckengemälde, die zum Teil Weltberühmtheit genießen, standen im Zentrum der geführten Besichtigungen.
Nennen wir deren Reihenfolge: Der Dogenpalast unter italienischer Führung, die Basilica San Marco, die Palladiokirche S. Giorgio Maggiore mit Besteigung des Campanile, das Museo dell´Accademia, die Barockkirche Santa Maria della Salute, der zum Museum umfunktionierte Palast Ca´ Rezzonico, die Basilika S. Maria Gloriosa dei Frari, die Scuola Grande S. Rocco, die Kirche SS. Giovanni e Paolo, die einschiffige Saalkirche S. Maria dei Miracoli mit den prächtigen marmorverkleideten Innenwänden (Heribert Kittel erläuterte, dass Marmor ein Umwandlungsgestein ist, das sich in Millionen von Jahren in größerer Erdtiefe aus dem ursprünglichen Kalkstein infolge hoher Temperatur- und Druckzustände entwickelt hat, wobei die vielfältigen Farbvariationen auf mineralischen Einschlüssen beruhen), und schließlich die byzantinische Kathedrale S. Maria Assunta auf der Insel Torcello.
Georg Drinnenberg führte die Reisegruppen gewohnt souverän und kompetent zu von ihm ausgewählten Gemälden oft großen Ausmaßes in verschiedenen Kirchen, Palästen und Museen. Dabei gelang es ihm sehr eindrucksvoll und nachvollziehbar, die Besonderheiten und Charakteristika im Malstil des Künstlers dem Betrachter nahe zu bringen. So wurde man z. B. in die Lage versetzt, anhand der leuchtenden, brillanten Farbigkeit eines Madonnenbildes von Giovanni Bellini die Identität des Künstlers an anderer Stelle wieder zu entdecken und von der eines Giorgione zu unterscheiden.
Jetzt fehlte nur noch ein Musikerlebnis, um dem facettenreichen Kunstangebot der Stadt zu genügen. Und ein solches gab es in Form einer Opernaufführung. Allerdings nicht im legendären Gran Teatro Fenice, sondern in der ersten Etage des vom Alter gezeichneten Palazzo Barbarigo Minotto aus dem 17. Jahrhundert. Statt auf einer Bühne mit vorgelagertem Orchestergraben wurden die beiden Akte von Rossinis “Der Barbier von Sevilla” mit abgewandelter Inszenierung nacheinander in drei verschiedenen, sehr dekorativen Palast- räumen aufgeführt. Das Publikum war angehalten, jeweils den Raumwechsel mit zu vollziehen, wobei es den außergewöhnlichen Vorzug hatte, das Operngeschehen hautnah in unmittelbarer Nähe zu den Gesangssolisten zu erleben. Aus Platzgründen war das Orchester auf drei Streicher und einem Pianisten beschränkt. Man war einhellig der Meinung, einen Opernabend der nicht alltäglichen Art genossen zu haben.
Pina Kittel hatte sich sehr intensiv auch unter Rückgriff auf italienische Literatur auf spezielle Stadtführungen vorbereitet und diese sehr informationsreich gestaltet. Nennen wir als Beispiel das “Ghetto” genannte Judenviertel von Venedig und das Gebiet um die Rialtobrücke mit seinem Fischmarkt. Man erfuhr Details über das Alltagsgeschehen in der Stadt, über das Bewältigen sozialer Probleme, über wirtschaftliche Nöte und über mögliche Bildungsangebote. Auch die Geschichte und die Bedeutung des Karnevalismus für die Stadt kamen zur Sprache.
Am Ende einer erlebnisreichen Woche mit historischen, kulturellen und anderen stadtspezifischen Programminhalten lag es nahe, den hierfür verantwortlichen Organisatoren einen herzlichen Dank auszusprechen. Auch diese Bildungsreise an den Gardasee und insbesondere nach Venedig reiht sich ein in den Katalog mit niveau- und anspruchsvollen Veranstaltungen, die der deutsch-italienische Freundeskreis jährlich seinen Mitgliedern anbietet.
Autor: Manfred Müller