Der Freundeskreis Bensheim-Riva erlebt im Oktober 2014 die Schönheiten der Toskana

Die Reisen des deutsch-italienischen Freundeskreises Bensheim – Riva sind begehrt. Es verwundert nicht, dass dieser rege Verein mittlerweile 500 Mitglieder hat. Fünfzig von ihnen folgten Ende Oktober abermals dem Lockruf ihrer Vorsitzenden Dr. Pina Kittel in ihr Heimatland: in die Toskana dieses Mal. Und obwohl doch fast jeder die Toskana schon lange kennt oder zu kennen meint, wären gern noch viel mehr Bensheimer mitgefahren.

Was erwarteten sie sich von der Reise? Ende Oktober liegen die Strände der ligurischen Küste verwaist. Unfreundliches Wetter anfangs, dann sonnige Tage nicht über 22 Grad. Ist es noch immer der Sog ins Land, wo die Zitronen blühn? Sammeln sich im Freundeskreis die in die Jahre gekommenen Rotweintrinker und Nostalgiker der alten Toskana-Fraktion? Wenn dem so wäre, fuhren sie um abzubüßen, denn die Reiseleitung exerzierte preußischen Geist im lieblichen Süden.

Der Wecker klingelte um 6 Uhr. Die Hotels hatten sich auf vorverlegte Frühstückszeiten einzurichten. Abmarsch der Gruppe morgens um 7.30 h. Der äußerste Gnadenerweis: 8.30 h. Das Programm straff, die Reisegruppe – viele sind seit langem dabei – extrem diszipliniert und pünktlich. Die Schande, eine Minute zu spät zu sein, haftet einem neun Tage lang an wie ein Aussatz.

Es wurde stramm marschiert. Florenz etwa war ab Hotel von einem Ende der weitläufigen Renaissance-Innenstadt bis zum anderen und zurück zu Fuß zu bewältigen. Das Gros der Gruppe schien diese Räume auf Flügelschuhen zu durchmessen. Anderen schmerzten bald Kopf und Füße und sie spähten aus nach einer Trattoria.

Die diesjährige Toskana-Fahrt des Freundeskreises war eine kompakte Bildungsreise – mit Landschaft. Sie war die denkbar anstrengendste und zugleich ergiebigste und erfreulichste. Sie war logistisch – Flug, Busse, Hotels – und inhaltlich präzise geplant und vorbereitet. Darüber hinaus war sie eine Inszenierung: eine kunsthistorisch ausgeklügelte Schule des Sehens.

Klassische Reiseführer raten zu Florenz als Standort für weitere Touren nach Pisa, Lucca, Siena. Wir landeten zwar in Florenz, fuhren aber umgehend ab nach Pisa, knüpften daran Lucca, San Gimignano und Siena, machten einen Abstecher nach Carrara im Norden und einen nach Süden in die Crete Senese, um dann nicht etwa Florenz zu betreten, sondern es zunächst von oben, von Fiesole über dem Arno-Tal aus, in seiner ganzen Herrlichkeit zu betrachten. Dem Begrüßungsblick korrespondierte am vorletzten Tag der Abschiedsblick von der Piazzale Michelangelo herab.

Ausgetüftelt hatte diese Wege wohl vor allem unser Cicerone Georg Drinnenberg, der, bevor er zur Sache kam und souverän Architektur und Kunst erläuterte, uns als Hors d‘ œuvre und anspielungsreich einen hübschen Landsitz der Spätrenaissance zeigte: die Villa Mansi. Mansi von manere: „Ich bin geblieben.“

Ab und zu abgelöst wurde Georg Drinnenberg von Alexandra Bertram.

Unterwegs sahen wir, was wir sehen wollten: die bilderbuchschönen Hügelketten der Toskana mit ihren Silhouetten von Pinien, Zypressen und Zedern und in den Ebenen das in der Sonne glitzernde Laub der Olive. Aber Heribert Kittel führte uns auch ins schroffe Gelände der Apuanischen Alpen, wo nach wie vor der edle Carrara-Marmor gebrochen wird, das Material, mit dem die reichen Stadtstaaten ihre Dome bauten. Bekannt ist, dass Michelangelo sich den Marmor statuario, etwa den für seinen David und die großen Figuren der Sagrestia Nuova von San Lorenzo, höchstselbst an Ort und Stelle ausgesucht hat.

Wir erfuhren von der Entstehung des rein weißen, harten (echten) Marmorgesteins infolge gewaltigen Drucks und gewaltiger Hitze während der plattentektonischen Verschiebungen zur Zeit der Entstehung der Kontinente unserer Erde. Während der Bus durch die Serpentinen der Via dei Martiri del Lavoro ächzte und uns LKWs mit glänzend weißen Blöcken entgegenkamen, berichtete unsere regionale Führerin von den vielen Opfern der harten Arbeit, die der Abbau des Marmors forderte, als die Blöcke noch auf Schlitten von langen Ochsengespannen ins Tal gezogen wurden.

Die zweite geologische Exkursion galt der Toskana, die jeden verblüffte. Auf dem Weg südöstlich von Siena zur Abtei M. Olivieto Maggiore und in die Renaissance-Musterstadt Pienza – einem zugigen Bergnest mit Verlaub – verwandelte sich das anmutige Land ins Herbe, Fahle, Kahle. Der undurchlässige Lehmboden hier löst sich bei starkem Regen in Schlamm- und Breilawinen auf und verursacht die charakteristische Erosionslandschaft der Crete. Wir sahen in Schluchten, in die wohl ganze Wälder abgerutscht waren.

Es gab Höhepunkte. Der erste: Morgengrauen in Pisa und Marsch zum Campo dei Miraculi. Ein Schritt durchs Stadttor, und fast überirdisch marmorweiß (und schwarz gebändert) lag das Ensemble aus Baptisterium, Dom und Schiefem Turm vor uns, seitlich gesäumt vom Camposanto, bewacht von einem Marmorlöwen auf dem Knick der Stadtmauer. Kein Tourist, nirgends. Nur unsere Gruppe vor erhabenem Anblick. Als der Platz eine Stunde später von Menschen wimmelte, waren wir dankbar für diesen sehr frühen Trip. Ziel der Regie: Die Abfolge der Epochen sehen zu lernen.

Wir sahen: Das nach seinem Sieg über die Sarazenen (1063) reich und zur mächtigen Großmacht gewordene Pisa beginnt romanisch zu bauen und assimiliert sich dabei Elemente der byzantinischen und islamisch-sarazenischen Kultur. Es entsteht das makellose Oktogon des überkuppelten Baptisteriums. Die feinen Reliefs der Dom-Türen werden in Bronze gegossen. Von der französischen Gotik beeinflusste Baumeister führen – wie auch in Siena, Lucca und Florenz – Begonnenes fort, und das kühne Konzept der Renaissance kündigt sich an: Zwischen Propheten etwa steht in antiker Nacktheit Herkules als Stütze der Kanzel.

Auf dem christlichen Friedhof dürfen auch römische und etruskische Sarkophage ihren Platz haben. Und schließlich ist Galileo Galilei Pisas Sohn, der anfing, dem Augenschein mehr zu trauen als den Lehren der Kirchenväter. Früh schon soll ihn das leichte Schwingen des Kronleuchters im Dom auf die Pendelgesetze und Experimente vom Schiefen Turm herab auf die Spur der Fallgesetzes gebracht haben. Das Programm, christliche Frömmigkeit und Lehre mit der griechisch-römischen Kultur zu versöhnen, wird in Pisa augenscheinlich. Es kulminiert in Florenz.

Dem Stadtbild des von Wällen umgebenen Lucca ist noch der Straßenplan der ursprünglichen römischen Siedlung eingeschrieben. Caffe latte auf der Piazza, die die Form des alten Amphitheaters bewahrt. Im 6. Jahrhundert, als bei uns noch gar nichts war, wurde hier eine Bischofskirche gegründet. Auch sie natürlich überformt von kommenden Generationen, gotisch geschmückt und versehen mit der wunderbaren Reiterstatue ihres Patrons, des Heiligen Martin, die sofort an den Bamberger Reiter erinnert und tatsächlich zeitgleich mit ihm entstand. In die Fassade eingefügt findet sich ein Labyrinth, neben dem auf lateinisch zu lesen ist: Daedalus, der Kreter, hat es gemacht. Im rechten Seitenschiff ruht eine junge Frau auf ihrem Sarkophag, dessen kühler Marmor sie doch zärtlich wie in weiche Kissen aufzunehmen scheint.

In Siena, der Stadt auf drei Hügeln, scheint uns das Zebradekor der Fassade des riesigen Doms bereits gotisch überdekoriert. Aber wir dürfen betrachten, was auch gute Italienkenner selten zu Gesicht bekommen: Il pavimento, der kostbare Fußboden, von dem nur in wenigen Wochen des Jahres die schützenden Teppiche entfernt werden, lag offen. Er scheint Gemälde zu Geschichten des Alten Testaments zu zeigen, aber es sind Marmorintarsien, sicher in der Behandlung der Perspektive und der Darstellung von Landschaft und von schon dramatischer Ausdruckskraft und Plastizität. Die Seitenschiffe würdigen in zehn Bildern die zehn wissenden Sibyllen. Auch dies zu sehen war ein Höhepunkt.

Und es gibt den berühmten muschelförmigen Campo in Siena, den Palazzo Pubblico, Musik, herbeigeweht aus den Räumen der Accademia, und eine Trattoria mit frischen Steinpilzen und Blick ins weite Land. Die Balance zwischen den Zeiten und Stilen ist zu bewundern im großen Tafelbild der Maestà, der königlichen Madonna von Duccio di Buoninsegna (Dom-Museum). Zwar thront sie noch vor byzantinischem Goldgrund, aber sie ist nicht hieratisch starr, sondern lebendig, wie die Szenen der vielen sprechenden Tafelbilder um sie herum es sind. In Siena ist bereits auch der große Donatello, Schöpfer des Gattamelata (Padua) zu bewundern, dem die „Verkündigung“ in Santa Croce in Florenz den Durchbruch zum Ruhm brachte.

Dem Gemüt fassbar ist eine so reine, klare, würdige Klosterkirche wie San‘ Antimo südlich von Siena, die vor über tausend Jahren aus der sie umgebenden Landschaft wie von selbst hervorgewachsen zu sein scheint. Die Ölbäume hinter der Apsis könnten aus ihrer Gründungszeit stammen, über alte Mauern huschen Eidechsen, und die Sonne wärmt. Mansi, ich bin geblieben, manebo, ich werde bleiben. Was aber heißt: „Ich würde hier gerne noch etwas bleiben“?

Florenz dagegen ist verwirrend in seiner Überfülle. Es ist Schatzhaus, Wunderkammer und Pantheon der Renaissance mit über hundert Kirchen und ihren sämtlichen köstlich ausgemalten Kapellen, mit zahlreichen Klöstern, Museen, quaderförmigen Palazzi und den Marmor-Grab- und Denkmalen der Giganten Machiavelli, Michelangelo, Galilei und Dante in Santa Croce. Der Sarkophag Dantes, des größten italienischen Dichters, ist freilich leer. Die Stadt hatte ihren ghibellinisch gesinnten Sohn verbannt. Nach seinem Tod errichtete sie ihm Standbilder und bemühte sich vergeblich, seine Gebeine aus Ravenna heimführen zu dürfen.

Florenz ist erschlagend. Alles ist da: Die zarten, innigen Anfänge, für die Cimabue, Giotto, Masolino, Tommaso Masaccio, die Gaddis, und der selig gesprochene Mönch und spätere Abt von San Marco Fra Angelico stehen. In den unglaublich schlecht belüfteten Uffizien eilen die Besucher achtlos vorbei an antiken Skulpturen und drängt in den Botticelli-Saal, wo gestikulierende Hände schreiender Museumsführer nicht zum Text passen, den wir in aller Ruhe über unsere Audio-Guides hören. Ein Hoch auf die Guides, die der Verein angeschafft hat. Umherwandelnd wird man mit Informationen versorgt, ohne andere Gruppen zu stören.

Neben den religiösen Themen der Verkündigungen, Heiligen Familien und Madonnen von Filippo Lippi, Leonardo, Michelangelo und Raffael wandten sich die Renaissance-Künstler der antiken Mythologie zu, der Natur, dem individuellen Porträt, dem menschlichen Körper, dem Akt. Wir sehen Tizians Mediceische Venus und betrachten im Palazzo Riccardi Gozzolis festlichen Reiterzug, der sich „Zug der Heiligen drei Könige“ (Cavalcata dei Magi) nennt, tatsächlich aber wohl die Granden seiner Zeit zu Ross und in großer Pracht verewigt hat.

Pina Kittel berichtet zwischendurch von den gegenwärtigen Problemen Italiens; ihr besonderer Part ist es aber, uns alle Verästelungen des Stammbaums der Medici nahe zu bringen und uns einzuschärfen, dass nicht die späteren Großherzöge und Päpste, sondern die frühen, mächtigen, aber persönlich bescheiden lebenden Bankiers des Hauses Medici bis zu Lorenzo dem Prächtigen die großen Mäzene ihrer republikanischen Stadt waren, die die Künstler an sich banden und den Neuplatonismus, das Bündnis des Christentums mit dem Geist der Griechen, schmiedeten. Ihr größter Baumeister war Brunelleschi.

Wir sehen den klar gegliederten Raum von San Lorenzo und die in schönen Proportionen aus Kubus, Kreis und Halbkreis gestalteten Räume der Alten Sakristei und der Pazzi-Kapelle. Sein Meisterwerk ist die Kuppel des Doms. Verweilen, bleiben aber möchte man vor allem noch etwas vor den Bronzetüren des Battisterio und in seinem magischen Inneren. Dante, in diesem Baptisterium getauft, hatte es zeitlebens für einen heidnischen Tempel gehalten

Wer nach diesen hellen Toskana-Tagen schließlich wieder im hessischen Nebelgrau landet, nimmt sich vor, nun vieles zu sortieren und nachzulesen – und bald wieder zurückzufliegen.

Autor: Gisela Wand